Predigten
Predigten von Pfarrer Rau bei "Glaube unverbraucht".
Predigt zu Römer 10, 9-17
am 26. September 2021
in Herbrechtingen_Pfarrerin Susanne Scharpf
Liebe Gemeinde,
in dem bekannten amerikanischen Spielfilm „Jenseits von Afrika“ tanzen die Hauptdarsteller Meryl Streep und Robert Redford an einem Silvesterabend miteinander.
Meryl Streep alias Baronin Blixen erzählt beim Tanzen von dem, was ihr in ihrem Leben wichtig ist. Neben ihrer Farm und ihrem Porzellan sind das auch die afrikanischen Kinder auf ihrem Land, die sie „meine Kikujus“ nennt, und denen sie gerne Lesen und Schreiben beibringen möchte. Ihr Filmpartner Robert Redford, der den Großwildjäger Finch Hatton spielt, hört sich das alles in Ruhe an und antwortet dann ganz lapidar: „Baronin, wir sind nur auf der Durchreise.“
An diese Filmszene musste ich in den letzten Tagen immer wieder denken: „Wir sind nur auf der Durchreise.“
Vielleicht kommen einem ja solche Gedanken, wenn man Abschied nehmen muss.
Ich habe mich noch einmal an meinen Anfang hier zurückerinnert, daran, dass mir die Herbrechtinger Kirchengemeinde ohne Umschweife ermöglicht hat, in Ulm wohnen zu bleiben und von dort aus anzufahren, was so ja für eine Pfarrerin mit Residenzpflicht nicht ganz selbstverständlich ist.
Und so habe ich nicht nur erfahren, dass die Herbrechtinger einen Zug nach Ulm haben, wie es mir einmal gesagt wurde, sondern vielmehr noch eine Großzügigkeit pflegen, die auch ihr Miteinander prägt, so dass Menschen ganz unterschiedlicher Glaubensrichtungen hier einen Platz finden und gut miteinander leben und auskommen können. Dafür war ich dankbar.
„Wir sind nur auf der Durchreise.“
Ich dachte in den letzten Tagen auch an meine anfängliche Unsicherheit zurück, an mein mitunter banges Nachdenken darüber, wie ich wohl zurecht kommen würde in meinem Alter und auch nach acht Jahren Altenheimseelsorge – mit der Jugend, vor allem den Konfirmandinnen und Konfirmanden, und wie gut es dann doch im Großen und Ganzen gegangen ist - mit viel Wohlwollen und Humor auf beiden Seiten, so dass ich mich immer wieder schmunzelnd daran zurückerinnere, wie ich angesichts meines wirklich stets hochprofessionellen Umgangs mit den neuesten Medien mitunter zu hören bekommen habe: „Frau Scharpf, Sie sind noch schlimmer als meine Mutter.“
„Wir sind nur auf der Durchreise“
Ich habe auch nochmals meine Predigt zur Investitur gelesen. Ein Text aus dem 2. Korintherbrief des Apostels Paulus, wo es um Trübsal und Trost ging. Ich habe damals von einer Wanderung durch die Vogesen erzählt, die ich vor vielen Jahren mit Freunden einmal gemacht hatte und wie wir in ein fürchterliches Unwetter geraten sind mit Wind und Regen und wir durchnässt waren bis auf die Haut und wie gut es getan hat, nicht allein zu sein auf dem Weg, gegen den Regen und den Sturm gemeinsam anzusingen und vor allem auch zu wissen, dass am Ende des Wegs eine Behausung auf uns warten würde, eine Herberge mit einem warmen Kachelofen, einem Glas Wein und gutem Essen.
„Wir sind nur auf der Durchreise“.
Ich dachte in den letzten Tagen auch an das gute Miteinander während der Vakatur zurück, an die Zusammenarbeit mit den pfarramtlichen Kollegen und den MitarbeiterInnen der Kirchengemeinde, die mich so hilfreich und kompetent unterstützt haben, so dass gerade diese Zeit der Gemeindearbeit besonders erfüllend für mich gewesen ist.
Dann ist mein Mann krank geworden.
Schließlich habe ich selbst im vergangenen Dezember einen unvorhergesehenen, ungeahnten Angriff auf meine körperliche Unversehrtheit erlebt, der bis heute nicht eindeutig einzuordnen und zu verstehen ist. Erst im Nachhinein habe ich begriffen, wie gefährdet mein Leben war und dass ich bewahrt worden bin. Leben aus Gottes Hand.
Ein bisschen ist es mir ergangen wie Petrus, der nach einer vergeblichen Nacht und dann einem unglaublichen Fischfang am Morgen, nach der Erfahrung unverfügbarer, unverdienter Fülle im Boot liegt, überwältigt, niedergeworfen, voller Demut, und doch zugleich aufgerichtet. Denn Jesu Wort trifft und umfängt ihn: „Fürchte dich nicht!“, und Petrus kann wieder zu sich kommen und gefasst sein.
Auch mich haben damals Worte getroffen, durch die ich neue Hoffnung schöpfen und vor allem auch wieder zu mir selbst finden konnte.
Es waren nicht nur Worte von Menschen, die damals im Krankenhaus um mich waren und die es gut mit mir gemeint haben, es waren auch Worte, an die ich mich – Gott sei Dank - erinnern konnte, ein Schatz, den ich bei mir trug und der mir jetzt zur Verfügung stand. Es waren geliehene Worte, da die eigenen noch fehlten, Worte, in denen ich mich bergen konnte, sichern, versichern.
Es waren vor allem Worte Dietrich Bonhoeffers, die ich in der letzten Konfirmandenstunde noch zusammen mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden gesprochen hatte, nicht ahnend, wie existentiell bedeutsam und wichtig sie für mich in ganz naher Zukunft werden sollten.
„In mir ist es finster, aber bei dir ist das Licht. Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht. Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe. Ich bin unruhig, aber bei dir ist Friede. Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich.“
Glaube – so habe ich in jenen dramatischen Tagen aufs Neue erfahren, ist nicht etwas, das man ein für alle Mal hat, sondern dass man immer wieder ergreifen muss, sich aneignen, hineinbuchstabieren ins eigene Leben.
Und Glaube braucht Worte, die man sich nicht selbst sagen kann, sondern die von außen auf einen zukommen, Worte, die aufnehmen, was das eigene Leben ausmacht, was einen bewegt, umtreibt, Angst macht, und zugleich Worte, die darüber hinausführen.
Wie entsteht Glaube, wie finden Menschen zum Glauben, immer wieder neu?
Damit befasst sich auch der heutige Predigttext aus dem Römerbrief des Apostels Paulus. Ich lese aus Kapitel 10, die Verse 9-17:
„Denn wenn du mit deinem Munde anerkennst, dass Jesus der Herr ist, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.
Denn wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Munde bekennt, wird selig.
Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.«
Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.
Denn »wer den Namen des Herrn anruft, wird selig werden« (Joel 3,5).
Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?
Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!“
Aber nicht alle waren dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubte unserm Predigen?“
So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“
Der Herr segne sein Wort an uns allen! Amen.
Zugespitzt, liebe Gemeinde, übersetzt Luther hier: „Der Glaube kommt aus der Predigt.“
Für protestantische Ohren zu mindestens klingt das zunächst ganz selbstverständlich, auch wenn man sogleich auf den Gedanken verfallen mag, dass dies eine gehörige Überforderung der sonntäglichen Predigt sein könnte.
Vielleicht ist es deshalb besser etwas anders zu übersetzen als Luther. Der Glaube kommt aus dem Hören. Und das Hören wiederum braucht die Worte, die Geschichten, das Erzählen. Der Glaube kommt also aus dem Gehörten, und dies, das Reden und Hören, findet ja nicht nur am Sonntag in der Kirche statt, sondern an vielen anderen Orten auch.
Wenn ich an die Prediger in meinem Leben zurückdenke, dann fällt mir die Kinderkirche ein, die Jungschar, der Religionsunterricht, die als Kind sehr prägend für mich waren. Ich denke aber auch an meine Großmutter, die ich oft in ihrer Stube beim Bibellesen angetroffen habe, an meine Mutter, die mit mir gebetet hat, wenn ich das Haus verließ.
Und dann will ich auch an die vielen Prediger hier in der Gemeinde denken, zuerst an diejenigen, die mich durch ihre Lebensgeschichten angeregt haben, einen biblischen Text oft ganz neu, ganz anders zu verstehen und dann auch auszulegen.
Ich denke an die Kinderbibelwoche, wo die Mitarbeiterinnen und ich die biblischen Geschichten weitergedacht haben, sie zusammengebracht haben mit dem eigenen Leben und dann auch dem Leben der uns anvertrauten Kinder. Und natürlich gab es – Gott sei Dank - auch die vielen von einer hervorragenden Band begleiteten Lieder, regelrechte Ohrwürmer, die Herz und Mund der Kinder erreicht, erfreut und geöffnet haben.
Martin Luther spricht einmal vom Gespräch der Schwestern und Brüder untereinander, das der einzelnen, dem einzelnen hilft, ihr, sein Gewissen zu schärfen und damit ihren, seinen ganz eigenen, persönlichen Glauben zu finden und zu verantworten.
„Wir sind nur auf der Durchreise“
Dieser Satz aus dem eingangs zitierten Film ist im Grunde der säkulare Ausdruck dessen, was Paulus in unserem heutigen Predigttext Auferstehungsglauben nennt. Es ist der Glaube daran, dass unser menschliches Leben hineingestellt ist in einen weiten Horizont, unser Leben ein Ziel hat und auf Vollendung hoffen darf.
Eines der schönsten Bilder in der Bibel, diese Hoffnung zu umschreiben, so meine ich, ist das Bild aus der Johannesoffenbarung vom neuen Himmel und der neuen Erde.
Dazu schreibt der ehemalige Ulmer Dekan Theophil Askani, der mir in all den Jahren als Predigerin immer wieder zum Prediger geworden ist:
„Wir sollten uns trösten und freuen an dem Bild des neuen Himmels und der neuen Erde, an der Verheißung, dass Gott einmal gegenwärtig sein wird, wie ein Freund unter Freunden, wie ein Vater bei den Seinen, dass die Fragen ein Ende haben, dass die Rätsel sich lösen, dass die Angst verschwindet.
Weinende kommen an in jenem Land, Bedrückte, solche, die nicht fertig geworden sind – und siehe, Gottes Nähe macht alles neu.“
Was für eine Hoffnung! Und doch eine Hoffnung, die unser irdisches Leben gerade nicht entwertet.
Auf der Durchreise zu sein, bedeutet eben nicht verantwortungslos zu leben.
Wir sollen und wir dürfen stattdessen immer noch etwas wollen in diesem irdischen Leben - für uns selbst und diese Welt, wir sollen nicht resignieren, sondern unsere Schritte setzen, jeden Tag neu bis zum letzten Tag, dem letzten unseres Lebens, dem letzten Tag dieser Welt.
Dabei werden wir sicherlich auch Angst haben und Fehler machen und Schuld auf uns laden. Ja, wir bleiben dieser Erde verhaftet, mit ihrem Leid, ihrem Schmerz, ihrer Angst und ihrer Not, und sind doch inmitten all dessen geborgen, beschützt, begnadet, ausgerichtet auf ein Ziel.
So leben wir Christen wohl in dem Paradox, dieses Leben sehr ernst zu nehmen und sich ihm zu stellen, und zugleich dieses Leben in all seiner Ernsthaftigkeit auch zu relativieren. Und darin die Freiheit der Kinder Gottes zu schmecken.
Einfach ist das alles nicht. Und so kennen wir Sorge und Sorglosigkeit, Angst und Zuversicht, Geborgenheit und Ausgeliefertsein, Zutrauen und Hoffnungslosigkeit, oftmals ganz nah beieinander. Wir glauben und sind stark und schon wieder zweifeln wir und verzagen.
Auch deshalb bindet Paulus den Glauben an das Wort, das wir hören, vernehmen, lesen, ja, hören vernehmen, lesen müssen jeden Tag neu, um Glauben zu lernen, unser Leben lang, dann aber - am Ziel angekommen - zu sehen, zu begreifen, was wir jetzt nur erahnen. Wir sehen jetzt – so schreibt Paulus im 1. Korintherbrief - durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Amen.